Die Berufsbildungssysteme weltweit sind heterogen – das zeigt sich gerade im Elektrobereich. Ausbildungsdauer, Inhalte und Praxisanteile weichen oft erheblich vom deutschen Standard (meist 3,5 Jahre duale Ausbildung) ab. In vielen Ländern dauern Elektriker-Ausbildungen kürzer (oft 1–2 Jahre) und finden stärker schulisch statt, wodurch praktische Erfahrungen im Betrieb fehlen können. Auch aktuelle Technologietrends (z. B. Digitalisierung, Automatisierung) sind je nach Land unterschiedlich integriert, sodass rückwandernde Fachkräfte hier ggf. Module nachholen müssen. Zudem fehlen häufig Kenntnisse der deutschen Normen und Sicherheitsstandards (DIN/VDE, technische Regeln), die für Arbeiten an elektrischen Anlagen in Deutschland essenziell sind. Im Folgenden einige Beispiele typischer Abschlüsse und Unterschiede aus häufigen Herkunftsländern.
Türkei
Die Türkei verfügt über ein ausgebautes Berufsbildungssystem, das jedoch anders organisiert ist als das duale System. Viele Elektriker absolvieren dort eine Berufsfachschule (Meslek Lisesi) von meist 4 Jahren, oft mit anschließender Praxisphase. Zusätzlich gibt es im Handwerk die Abschlüsse zum Gesellen (Kalfalık) und Meister (Ustalık). Dennoch kann es Unterschiede in Spezialisierung und Praxis geben: Ein türkischer Elektrotechnik-Technikeraus der Berufsschule hat viel Theorie, aber möglicherweise weniger praktische Baustellenerfahrung als ein deutscher Ausbildungsabsolvent.
Die Türkei gehört seit Jahren zu den häufigsten Ausbildungsstaaten bei Anerkennungsverfahren in Deutschland. Im Jahr 2022 lag sie auf den vorderen Plätzen der Herkunftsländer für Anerkennungsanträge, insbesondere bei handwerklichen Berufen. Viele türkische Elektro-Fachkräfte erhalten in Deutschland zunächst eine teilweise Gleichwertigkeit. In Bescheiden werden oft fehlende Kenntnisse etwa in aktuellen DIN/VDE-Normen oder in Spezialbereichen (z. B. Gebäudeleittechnik) genannt, die dann durch Anpassungslehrgänge bei Handwerkskammern oder Bildungszentren nachgeholt werden müssen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Grundqualifikation solide ist – nach etwas Nachqualifizierung erreichen viele die volle Anerkennung und sind gefragte Fachkräfte.
Indien
In Indien ist die Berufsbildung sehr dezentral organisiert. Es existieren verschiedene Pfade, u. a. das Industrial Training Institute (ITI), das praxisorientierte Kurse von 1–2 Jahren anbietet, sowie Lehrlingsprogramme (Apprenticeship Training Scheme) mit 1–2 jähriger betrieblicher Ausbildung. Ein typischer Abschluss im Elektrobereich ist z. B. der “Electrician” (National Trade Certificate) nach zweijähriger ITI-Ausbildung. Dieser ist meist kürzer als die deutsche Ausbildung und spezialisiert sich auf bestimmte Installations- und Wartungsarbeiten.
Aufgrund der kürzeren Ausbildungszeit werden indische Abschlüsse häufig nur teilweise als gleichwertig zum deutschen Elektroniker anerkannt. Das heißt, es werden „wesentliche Unterschiede“ festgestellt, etwa in der Breite der Kenntnisse (z. B. Automatisierungstechnik, komplexe Antriebs- und Steuerungssysteme), die in Deutschland zum Standard gehören. Indische Fachkräfte müssen dann – häufig unterstützt vom Arbeitgeber – zusätzliche Qualifizierungen durchlaufen, z. B. in Form von betrieblichen Trainings oder überbetrieblichen Kursen, um die Lücke zu schließen. Positiv zu vermerken ist, dass indische Fachkräfte oft über gute Englischkenntnisse und hohe IT-Affinität verfügen, was in Zeiten von Industrial IT und Industrie 4.0 durchaus Vorteile bietet. Sprachlich (Deutsch) und normativ (Sicherheitsvorschriften) ist jedoch eine Einarbeitung nötig.
Philippinen
Das philippinische Berufsbildungssystem bietet sowohl schulische Technikerausbildungen am Vocational College als auch Zertifizierungslehrgänge über die TESDA (Technical Education and Skills Development Authority). Ein Elektrofachkraft-Abschluss kann z. B. ein NC II Electrician Certificate sein, der in wenigen Monaten bis ca. 1 Jahr erworben wird, oder ein 2-jähriges Diploma in Electrical Technology. Diese Abschlüsse sind meist stark praxisorientiert, aber oft spezialisiert auf eng umrissene Tätigkeiten (etwa Hausinstallation oder Motorenwicklung) und nicht so umfassend wie der deutsche Elektroniker-Beruf.
Die Philippinen zählen zu den Top-Herkunftsländern bei Anerkennungsverfahren. Viele philippinische Elektriker bringen gute englische Sprachkenntnisse und Motivation mit, müssen aber fachlich häufig breiter qualifiziert werden. Anpassungslehrgänge zielen z. B. darauf ab, Kenntnisse in europäischen Installationsstandards, Steuerungs- und Antriebstechnik oder im Lesen komplexer technischer Zeichnungen zu vermitteln. Einige größere deutsche Unternehmen kooperieren inzwischen direkt mit philippinischen Ausbildungsinstitutionen, um sicherzustellen, dass die Absolventen auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet sind. Durch entsprechende Vorbereitung (inklusive Deutsch-Sprachkurs vor Ausreise) können philippinische Fachkräfte nach Anerkennung schnell integriert werden.
Weitere Länder
Auch aus Ländern des westlichen Balkans (z. B. Bosnien, Serbien) sowie Syrien und Tunesien kommen zahlreiche Elektro-Fachkräfte nach Deutschland. Die Ausbildung dort ist oftmals näher am deutschen Standard (weil sie ebenfalls 3-4 Jahre dauert) jedoch fehlen manchmal bestimmte Spezialinhalte. Gerade Westbalkan-Fachkräfte nutzen das beschleunigte Verfahren der Westbalkanregelung, müssen aber vor Arbeitsaufnahme ebenfalls eine Gleichwertigkeitsfeststellung durchlaufen. Bei syrischen Flüchtlingen ist oft die Dokumentenlage schwierig; hier kommt dann eine Qualifikationsanalyse zum Tragen, d. h. praktische Tests und Fachgespräche, um die Kompetenzen festzustellen.
Was bedeutet das für Unternehmen in der deutschen Elektrobranche?
Für Unternehmen in der Elektroindustrie oder im handwerklichen Elektrobereich bedeutet die Heterogenität internationaler Abschlüsse vor allem eines: Es braucht Zeit, Know-how und Geduld, um ausländische Fachkräfte erfolgreich in den Betrieb zu integrieren. Die häufig nur teilweise Gleichwertigkeit bringt Herausforderungen mit sich – z. B. in Form von Anpassungsqualifizierungen, betrieblicher Einarbeitung, sprachlicher Unterstützung oder sicherheitsrelevanter Schulungen zu Normen und Vorschriften.
Gleichzeitig liegt darin auch eine große Chance: Wer sich aktiv mit internationalen Talenten beschäftigt, kann dem Fachkräftemangel nachhaltig begegnen – denn viele dieser Fachkräfte bringen eine solide Grundausbildung, hohe Motivation und internationale Perspektiven mit. Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen Unternehmen den Übergang von „potenziell qualifiziert“ zu „voll einsetzbar im deutschen System“?
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Wir bei 4EIGN Talents sind darauf spezialisiert, Unternehmen in Industrie und Handwerk bei der langfristigen Fachkräftegewinnung und -integration zu begleiten – gerade im Bereich der Elektroberufe.
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Quellen
Anerkennungsstatistik 2022 https://www.bq-portal.de/Anerkennung-f%C3%BCr-Betriebe/Anerkennungsstatistik/Archiv/Anerkennungsstatistik%202022#:~:text=Im%20Jahr%202022%20wurden%20%C3%BCber,Sie%C2%A0%20auf%20Anerkennung%20in%20Deutschland
Arbeitshilfe: Besonderheiten der beruflichen Anerkennung von Elektroniker*innen
https://www.netzwerk-iq.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Fachstelle_Beratung_und_Qualifizierung/FSBQ_Arbeitshilfe_Elektronikerinnen.pdf
Bericht zum Anerkennungsgesetz 2023 https://www.bibb.de/dokumente/pdf/a33_bericht_anerkennungsgesetz_2023_final.pdf#:~:text=den%20Berufen%20nach%20Landes%02recht%20stellten,die%20T%C3%BCrkei%2C%20Ukraine%2C%20Syrien%2C%20Polen
BQ Portal Länderprofil: Indien https://www.bq-portal.de/node/723#:~:text=Absolventen%20der%2010,dem%20Apprenticeship%20Training%20Scheme%20erfolgen